Die Alpenländische Jagdrechtstagung bietet seit 2017 alle zwei Jahre interessierten Juristinnen und Juristen aus den alpinen Ländern Österreich, Deutschland, Südtirol, Liechtenstein und der Schweiz die Möglichkeit, sich im Jagdrecht wissenschaftlich auszutauschen.
Die 3. Alpenländische Jagdrechtstagung wurde vom 24. bis 25. März 2022 in Schoppernau und München abgehalten. Im heurigen Jahr war die Universität für Bodenkultur in Wien Gastgeberin. Unter dem Titel «Wo lebt unser Wild? Sicherung von Lebensräumen» wurden aktuelle Herausforderungen des Jagdrechts im Alpenraum (Österreich, Deutschland, Schweiz, Südtirol, Liechtenstein) interdisziplinär erörtert. Die Vorträge haben gezeigt, dass es in den Alpenländern trotz unterschiedlichen topographischen Verhältnissen und trotz unterschiedlicher rechtlicher Systeme starke Gemeinsamkeiten gibt:
- Dr. Asche, Rechtsanwalt in Hamburg und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern, hat unter Bezugnahme auf den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer auf den Ostfriesischen Inseln, anschaulich aufgezeigt, dass der Mensch vielfach der eigentliche Motor für die Existenz von Schutzgebieten ist. Ohne das Zutun des Menschen würde es zB – mangels Deichwirtschaft – den von ihm beleuchteten Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer nicht geben. Die landestypische Naturnutzung sollte in rein anthropogen geformten Schutzgebieten Teil des Schutzkonzeptes sein.
[Vortragstitel: „Naturschutz ohne Menschen? Schutz und Nutzung auf den Ostfriesischen Inseln“]
- Dr. Haller, Direktor des schweizerischen Nationalparks, hat mit anschaulichen Modellen und Grafiken gezeigt, dass Wildtiere Grenzen kennen. Am Beispiel eines Luchses, der als einziges männliches Exemplar im Trentino lebt, veranschaulichte er, welche Gebiete betreten wurden und welche nicht. Der Abgleich mit der Landkarte samt eingezeichneter Infrastruktur zeigte, warum sich der Luchs in gewissen Gebieten nicht mehr aufhält – hier war der Mensch sehr präsent. Problematisch ist diese Entwicklung vor allem in Grenzregionen, weil jeder meint, nur für „seinen“ Teil zuständig zu sein. Dr. Haller steht dafür ein, eine Vernetzung der Ökologie auch über Landesgrenzen hinaus zu fördern.
[Vortragstitel: „Kennen Wildtiere Grenzen? – Zur Vernetzung von Lebensräumen in Grenzregionen“]
- Prof. DDr. Norer, Universitätsprofessor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern, hat die Kehrseite der Sicherung von Lebensräumen betrachtet: Wie ist damit umzugehen, wenn es um den Schutz von Nutztieren vor geschützten Wildarten, konkret vor dem Wolf, geht. Der Schutzstatus des Wolfes wird sehr oft als unantastbar kommuniziert. Prof. DDr. Norer hat aufgezeigt, dass der komplexe rechtliche Rahmen aber immer Ausnahmen vom Schutzstatus ermöglicht. Er hat sogenannte Weideschutzgebiete präsentiert, die dazu führen können, eine Koexistenz von Wolf und Almwirtschaft zu erreichen. Dabei wird das natürliche Verbreitungsgebiet der geschützten Tierart – hier des Wolfes – als unbegrenzt vorausgesetzt. Innerhalb dessen werden Weidegebiete als Inseln definiert. Daran können verschiedene Konsequenzen geknüpft werden, insbesondere: Herdenschutzmaßnahmen, Vergrämungs-, Entnahme-, und Regulierungsmöglichkeit.
[Vortragstitel: „Zonierungslösungen beim Wolfsmanagement – rechtliche Grenzen“]
- Mag. Kranabitl-Sarkleti, Juristin und Geschäftsführerin der Steirischen Landesjägerschaft, und Dr. Zeiler, Wildbiologe, haben am Beispiel des Gamswildes gezeigt, wie wichtig ein rechtlicher und fachlicher Austausch für die Lebensraumsicherung von Wildarten ist. Juristen sind auf wissenschaftliche Fachexpertise angewiesen, um durchdachte Normen zu erlassen. Die lokalen bzw regionalen Populationen können beim (ebenfalls geschützten und damit in einem günstigen Erhaltungszustand zu haltenden) Gamswild zwar gut abgegrenzt werden. Erst konkrete Monitoringdaten zeigen aber, ob und wo die zunehmend touristischen Nutzung der Alpen oder die zunehmende Klimaerwärmung den günstigen Erhaltungszustand des Gamswildes gefährden und damit Maßnahmen (wie zB Betretungsverbote gewisser Gebiete) erforderlich machen. Nur über ein kontinuierliches Monitoring war es zB möglich, zu erkennen, dass Gamswild in den letzten Jahren (vermutlich durch den Klimawandel) um ca 0,5 kg leichter wurde.
[Vortragstitel: „Lebensraumsicherung des Gamswildes“]
- Dr. Weber, Leiter des Ressorts Raumentwicklung, Landschaft und Landesdenkmalamt in Südtirol, erläuterte mit einer interessanten Zahl zu Südtirol: 20% der Gesamtfläche ist als Schutzgebiet ausgewiesen. Um den Lebensraum zu sichern und die Artenvielfalt zu erhalten, wird versucht, durch Besucherlenkung Freiräume für Natur und Tier zu schaffen. Mit der Ausweisung von Wegen für Mountainbiker, Wanderer und Skitourengeher soll der Schutz erhalten bleiben. Man versucht innovative Lösungen zu finden (zB Online-Wege-Projekt), um eine Koexistenz auch in Schutzgebieten zu erreichen. Aufgezeigt wurde, dass ein Eingriff in die Natur durch den Menschen stattfinden muss – jedoch gezielt durch regulierende Maßnahmen. Am Beispiel des Nationalparks Stilfserjoch wurde gezeigt, dass dort gerade im Winter eine extreme Rotwilddichte an sonnenexponierten Arealen zu finden war, was zu extremen Verbissschäden geführt hat. Eine ausgewogene Abwägung von Eingriffen in und Schützen der Natur vor Eingriffen kann auch aus seiner Sicht die einzige Lösung sein, mit solchen Entwicklungen umzugehen.
[Vortragstitel: „Südtirols Schutzgebiete – Lebensräume und Besucherlenkung“]
Die wesentlichen Ergebnisse der 3. Alpenländischen Jagdrechtstagung waren somit:
- Der Ansatz „Natur Natur sein lassen“ – also ein Ausschluss von landestypisch vorhandenen anthropogenen Einflüssen – kann negative Auswirkungen für den Wildtierbestand in ausgewiesenen Schutzgebieten haben. Aber auch der Ansatz „Mensch Mensch sein lassen“ – also die Zulässigkeit sämtlicher anthropogener Einflüsse, ohne Betretungsverbote oder örtlichen/zeitlichen Zugangsbeschränkungen – führt zu Konflikten.
- Bei Schutzgebietsausweisungen sollte deshalb die landestypische anthropogene Naturnutzung Teil der Schutzkonzepte sein. Die Förderung der Koexistenz – zB über eine Besucherlenkung – kann den Schutzgedanken eher fördern als ein striktes Verbot (nach dem Ansatz „Mensch Teil sein lassen“).
- Um zu wissen, ob und welche Schutzmaßnahmen wirksam sind, sollte es ein umfassendes – und wiederum im Anlassfall flexibel gestaltbares – Monitoring geben. Allgemeine rechtliche Rahmenbedingungen, die größeren Handlungsspielraum für ein Reagieren im Anlassfall ermöglichen, entsprechen dem Schutzgedanken mehr als starre und unveränderbare Schutzregelungen.
Diese Ergebnisse wurden, wie schon bei den bisherigen Alpenländischen Jagdrechtstagungen, im Nachtrag noch bei einem Ausstellungsbesuch im Naturhistorischen Museum und einem festlichen Abendessen weiterdiskutiert.